Motivationskiller und Süssigkeiten

In meiner Lehrfirma war ich einem Verkaufsprokuristen zugeteilt und schrieb die Verträge seiner täglichen Verkäufe. Stell Dir vor - damals hatte man noch Schreibmaschinen! Herr Meier verkaufte in grossem Stil Landesprodukte, Früchte und Gemüse  an Grossverteiler und grosse Detailhändler. Engros-Verkauf nennt man das. Zwiebeln, Kartoffeln, Äpfel, Birnen, Bananen und Orangen in Güterwagen per Bahn oder auf Paletten per Camion. Die Firma hat heute über hundert Lastwagen und hatte damals schon einen eigenen Geleiseanschluss zu den Lager- und Speditionshallen. Es kam auch mal vor, dass ich ein Telefon entgegen nahm wenn Herr Meier gerade nicht im Büro war. Eines Tages wurde Herr Meier sehr krank. Er litt an Leukämie und musste während mehrerer Monate im Krankenhaus verbringen. Niemand kümmerte sich um mich. Ich war vollkommen allein im Büro des Prokuristen. Ich nahm Telefonanrufe entgegen und sprach mit den Kunden über Herr Meier's Krankheit und es wurden mir Grüsse und Genesungswünsche aufgetragen. Als der erste Kunde mich fragte, wem er denn jetzt einen Auftrag erteilen könne, antwortete ich frisch von der Leber weg: "Sie können es mir sagen". Ich nahm den Auftrag entgegen und stellte die Auftragsbestätigung aus. Von nun an schrieb ich die Lieferverträge und legte sie in die Unterschriftenmappe z.Hd. der Direktion. Ein Visum wurde darauf gekritzelt und die Aufträge wurden prompt ausgeführt.

 

Alles klappte wie am Schnürchen - ich hatte ja Herrn Meier gut zugehört. Auch wenn mal eine Reklamation kam, erledigte ich diese professionell. Ich ging in die Spedition und sprach mit den ausführenden Männern und Frauen. Ich besuchte Meier im Krankenhaus und erzählte ihm stolz von meiner Tätigkeit. Er fand das Spitze und gab mir den einen oder anderen guten Rat mit auf den Weg. Während mehrerer Wochen lief alles gut. Vollste Zufriedenheit aller Beteiligten - bis einem der Direktoren auffiel, dass in den Aufträgen der Name eines Lehrlings stand. Ab da ging es rasant Berg ab. Ich wurde vor den Direktor zitiert und abgekanzelt vom Feinsten - also auf gut deutsch - massiv zusammengeschissen. Was mir denn eigentlich einfiele etc. etc. ich sei ein Lehrling! Ja, ein Lehrling - na und - denke ich. Ich werde in die Buchhaltung versetzt - schrecklich. Belege kontrollieren, ablegen, Zahlen addieren, den ganzen Tag das Geplapper der Frauen anhören. Meine Noten in der Berufsschule wurden schlechter und schlechter. Eines Tages wurden meine Eltern zum Personalchef zitiert und mein Lehrvertrag wurde aufgelöst. Ich verstehe ja, dass mein Vorgehen aus Sicht der Geschäftsleitung nicht duldbar war. Trotzdem war das Erlebnis für mich ein absoluter Motivationskiller. Ich hatte wirklich Freude am Telefon-Verkauf gewonnen. Die nachfolgenden Arbeitsstellen konnten mein Interesse nicht wecken und ich litt viele Jahre darunter, dass ich keinen Lehrabschluss in der Tasche hatte. Später habe ich mich weitergebildet in Marketing und Werbung. Der Pegel meines Selbstwertgefühls wuchs mit dem geschäftlichen Erfolg.

 

Aber zurück zu meinem vorzeitigen Abbruch meiner Lehre. Ich suchte eine Stelle - und fand sie. Wo? Natürlich in einer Buchhaltung. In der Schoggifabrik Camille Bloch in Courtelary JB werden noch heute die berühmten Ragusa's hergestellt. Der Schoggi ist nicht das einzig Süsse, was ich dort kennen lernte. Eine schöne, reife Blondine aus der Lochkartenabteilung (auch dies gab es damals noch) gab mir Unterricht in "Französischen Süssigkeiten".

 

Ihr Name war Daisy und sie war verheiratet. Das war kein Hinderungsgrund für sie und für mich auch nicht. Natürlich wollte ich nur mein Französisch aufbessern. Wenn sie mich abends sehen wollte, zwinkerte sie mir am Kaffeeautomaten zu und wir trafen uns beim Einnachten beim Friedhof. Umgekehrt hielten wir es so: Ich spazierte an ihrem Häuschen vorbei und pfiff die Melodie eines gängigen Schlagers. Den Titel habe ich vergessen, aber die Melodie ist mir geblieben. Der Text begann so: "Oui devant Dieu, devant les hommes, Oui pour l'Amour que tu me donnes...…" etc. Meistens wurden meine nächtlichen Spaziergänge belohnt. Da meine geliebte Frau Magdalena diese Zeilen lesen wird: "Es war entschieden vor unserer Zeit. Je le jure!". HRJ

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