Der Bösendorfer-Flügel, auch Wiener-flügel genannt, ist weltberühmt. An erster Stelle steht für viele Pianisten natürlich der Steinway & Sohns. Dieser ist etwas brillanter im Ton als der Bösendorfer, dafür ist jener weicher und lieblicher im Klang. Einen Flügel zu besitzen ist für viele Musiker ein unerreichbarer Traum. Das grösste Problem ist meistens der Platz. Ein ebenso grosses der Preis. Beide Spitzenmarken kosten bei Grösse 170 cm um die 90‘000 bis 100‘000 Franken. Als Madeleine und ich im Schlösschen Emmenholz zu wohnen kamen, hatte ich nur noch das zweite Problem, den Preis. Platzmässig war es nun zu realisieren, da wir einen schönen grossen Salon mit integriertem Essraum hatten. Der Preis blieb jedoch als Knackpunkt bestehen bis ……….
Eines Tages, ich war ja zu dieser Zeit CEO eines Musikhauses, meldete sich mein Klavierstimmer bei mir und sagte, er hätte ein kurioses Angebot bekommen von einer Versicherung. In einem Musikhaus in Bern sollte er einen Bösendorferflügel schätzen. Ich überlegte, warum die Schätzung nicht von der Firma gemacht wurde, wo der Flügel steht. Wir beschlossen, zusammen hinzugehen. Der Empfang in dieser Klavierwerkstatt stimmte uns misstrauisch. Der Flügel sah bestens aus, tönte grandios. Um so merkwürdiger war das ganze Vorgehen. Wir untersuchten zusammen das Instrument. Plötzlich machte mich der Klaviertechniker auf einen kleinen Riss im Gussrahmen aufmerksam. Wir lächelten uns übereinstimmend zu und verabschiedeten uns von dem Werkstattchef. Wir hatten genug gesehen.
Des Rätsels Lösung: Ein Klavier oder ein Flügel mit einem Gussrahmenriss, so klein er auch sei, ist absolut wertlos. Warum? Guss kann man praktisch nicht schweissen. Kein Mensch kann wissen wie sich dieser Riss weiter verhält. Auf einem Gussrahmen herrscht durch die vielen Saiten ein Zug von weit über 13 Tonnen. Sollte der Riss nachgeben, kann eine gefährliche Situation entstehen für die Menschen, die sich gerade in der Nähe des Instrumentes aufhalten. Ganz abgesehen davon, dass der Klang des Flügels immer schlechter wird. Er beginnt zu scherbeln. Der Wert eines solchen Instruments ist unter Null, denn man muss ihn noch transportieren und entsorgen, was um die 1000 Franken kosten kann. Ich vermute, dass der Versicherungsmann bereits eine Offerte „Null“ von der Bernerfirma erhalten hatte und sich durch eine Zweitexpertise vergewissern wollte, dass dies auch rechtens sei.
Ich rief den Direktor der Gesellschaft an und fragte ihn: Wollen sie mich verarschen? Dann erklärte ich ihm den Sachverhalt und dass ich denke, er wisse dies bereits. Er schwieg dazu. Ich sagte: Hören Sie, ich mache Ihnen trotzdem ein Angebot. Die Firma, die ich vertrete sowie auch jede andere, wird Ihnen nur die Entsorgung empfehlen. Ich dagegen biete Ihnen als Privatperson den Gratistransport an. Sie gewinnen dadurch um die 1000 Franken und haben das Sorgenkind los. Ich versprach ihm auch, den Flügel nur privat zu nutzen. Er wolle dies mit seinem Gremium besprechen, antwortete er. Am nächsten Tag schon telefonierte er mir und war einverstanden ohne weitere Bedingungen. Ich liess den Bösendorfer in meine Wohnung liefern. Damit hatte ich einen wunderbaren Flügel, der mir sehr viel Freude bereitete und das für nur 500 Franken Transportkosten!
Ein solches Objekt kann gefährlich werden, ist wertlos und man kann aus Verantwortungsgründen nicht damit handeln, aber spielen kann man darauf u.U. noch lange. Ein paar Jahre danach, als wir in eine kleinere Wohnung zügelten, verkaufte ich es an einen Träumer, der sich einen Flügel nur ganz günstig leisten konnte wie ich damals. Für 10‘000 Franken wechselte der Flügel seinen Besitzer und der neue war sehr glücklich damit. Selbstverständlich wurde der Käufer über alle Risiken ausführlich informiert und er unterzeichnete einen Kaufvertrag, der mich von jeglicher Garantie und Haftung ausschloss. Ja manchmal bin ich schon ein „Sibesiech“, oder etwa nicht? HRJ
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