Manchmal rechnet man im Leben zuviel, manchmal zu wenig und manchmal sollte man besser gar nicht rechnen. Zum Beispiel wenn man Musiker ist. Früher hatten wir kleine Gagen, aber es reichte für das Reisegeld und für einen kleinen Zustupf zu unserem regulären Einkommen. Als ich 21 und frisch verheiratet war, reichte das "Musikgeld" in der Regel für die Babynahrung unseres frisch geborenen Sohnes. Das tat gut und wir lebten glücklich und zufrieden. Die Vereine, Wirte und Veranstalter bezahlten uns eine Gage. Das gehörte zu ihren Unkosten und sie generierten mit uns Gewinn.
Mit der Coronapandemie änderte sich vieles. Viele Veranstalter merkten, dass sie ihren Gästen auch ohne Gagenzahlung Konzerte anbieten konnten. Die "Hutgage" hielt Einzug in das Musikbusines. Die Musiker gewöhnten sich rasch daran, dass sie Ihr Publikum selbst mitbringen müssen. Die meisten können wohl schlecht rechnen, denn sie arbeiten oft rückwärts, während die Veranstalter wie eh und je mit den Bands Einnahmen erzielen.
Ein kleines Rechenexempel: Mit unserem Quartett spielten wir wiederholt in Brienz. Die Distanz von Ersigen nach Brienz beträgt 97 Km. Mit dem Rückweg lege ich also 194 Km zurück für diesen Gig. Der TCS veranschlagt die Gebrauchskosten für ein mittleres Auto auf 71 Rappen. Ich verbrauche also für einen Auftritt in Brienz für Pneus, Benzin, Steuern, Versicherung, Unterhalt etc. 137 Franken. Die Hutgage der letzten beiden Konzerte brachte für jeden Musiker rund 70 Franken ein. Ohne gross zu rechnen muss ich konstatieren, dass mir nur der Anfahrtsweg vergütet wurde und ich müsste eigentlich das Auto stehen lassen und den Heimweg zu Fuss antreten. Der Michelin Routenplaner gibt die Dauer mit 16 Stunden und 36 Minuten an für meinen Fussmarsch! Wir sind doch Musiker und nicht Langzeitwanderer! Und wo bleibt denn da überhaupt die Gage?
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Peter Zimermann (Mittwoch, 15 Februar 2023 09:07)
Hallo Hansruedi
Ich äussere mich normalerweise nicht auf solche Erläuterungen, aber ich muss dir jetzt trotzdem sagen, dass du jetzt zulange gebraucht hast um das 1x1, wie du es beschreibst, begriffen hast. Wenn es Menschen gibt die das 1x1 nicht kennen und sich von Angebot und Nachfrage des Marktes in den "Konkurs" manipulieren lassen, müssen bestraft werden (nimm es nicht zu persönlich).
Ich habe nie verstanden, dass du als hoch qualifizierter und routinierter Musiker, denn ein solcher bist du, solche Deals wie oben beschrieben, eingehst.
Aber wie heisst es so schön; Späte Einsicht ist besser als KEINE. Man kann im Leben immer wieder lernen!
In diesem Sinne wünsche ich dir auf jedenfalls einen schönen Tag und verbleibe
mit musikalischen Grüssen
Peter aus Wynigen
Hansruedi (Mittwoch, 15 Februar 2023 10:28)
Lieber Peter,
es freut mich, dass du offenbar meinen Blog liest und deine Meinung zu diesem Artikel geäussert hast. Du hast vollkommen recht, solche Dals sollte man gar nicht machen. In unserem Mainstream-Quartett mache aber nicht ich die Deals. Wir Musiker werden immer gefragt, ob wir einen Gig machen wollen oder nicht. Wir hatten gerade einen neuen Drummer, der sich bei uns ein bisschen einspielen musste und alle Musiker-Frauen wurden zum Essen eingeladen. Es war ein Super Konzert und wir hatten einen wunderschönen Abend im Garten des Hotels Bären am Brienzer See. Ein rentabler Gig war das sicher nicht. Die Story vom Rechen 1 x 1 hingegen war eher lustig gemeint als eine Anklage. Wir werden voraussichtlich nächsten Sommer noch einmal dort aufspielen zu den selben Bedingungen. Komm doch auch! Würde uns freuen. Grutz Hansruedi