
Vor 62 Jahren, an einem strahlenden Sommermorgen, begegnete ich auf dem Weg zum Bahnhof einer Engelsgestalt. Ich, damals 17, war auf dem Weg zur Arbeit, sie, ebenfalls auf dem Weg zur Arbeit, kam gerade vom Bahnhof. Dort wo heute ein Aldi steht, erblickte ich sie auf der gegenüberliegenden Strassenseite. Das Erste was mir auffiel waren ihre wunderschönen, sonnengebräunten Beine. Dann trafen sich unsere Blicke und ich wusste instinktiv: Davon hatte ich schon immer geträumt. Doch wie sollte ich sie ansprechen? Wenn wir uns kreuzten hiess das für mich: Ich verpasste meinen Zug wie schon oft und musste dann mit dem Velo, quasi dem Zug hinterher, zur Arbeit radeln.

Es gab aber auch Tage, an welchen ich nicht so spät dran war. Dann sah ich sie aus dem Zug aussteigen während ich einstieg. Es musste also auch möglich sein, die Begegnung umzudrehen z.B. am Feierabend. Und richtig, ich beobachtete dass sie abends in den Zug einstieg, den ich Der Bahnhof in Gerlafingen um 1962
gerade verliess. So blieb ich eines Abends sitzen und fand sie dann allein in einem Abteil und - ich wagte es, sie anzusprechen. Sie erteilte mir zwar eine Abfuhr, aber immerhin erfuhr ich ihren Namen und Arbeitsort, was mir später nützlich sein sollte.
Das Schicksal schlug hart zu: Ich verlor meine Lehrstelle und fand Arbeit im Welschland. Somit war der Traum, sie wieder zu sehen, vorerst ausgeträumt. Aus den Augen, aber nicht aus dem Sinn. Und man kann auch Glück haben. Als ich an einem Wochenende vom Welschland heim kam, erblickte ich in der Menschenmenge - es war wieder auf einem Bahnhof - zwei braune Augen, die ich schon ein Leben lang zu kennen glaubte. Auch dieses mal kamen wir uns entgegen. Wir drehten uns beide verlegen um, zögerten einen Moment, trauten uns jedoch nicht, stehen zu bleiben. Mein Puls war auf 200. Ich hatte es verbockt. "Jetzt muss etwas geschehen"! sagte ich mir.
"Mädi" arbeitete als Coifeuse an meinem Wohnort. So viel wusste ich. Da gab es aber auch eine Herrenabteilung. Am folgenden Tag, es war ein Samstag, liess ich mir kurz vor Geschäftsschluss die Haare schneiden und wartete danach vor dem Salon. Everardo, Mädi's Kollege, hatte sie natürlich schon vorgewarnt. Doch diesmal gab es kein Entkommen. Ich hatte zwar an diesem Abend einen Gig als Pianist an einer Geburtstagsfeier, aber ich nahm Madeleine einfach mit an diese Feier und ich bin überzeugt, dass ich mich bei dieser Gelegenheit in ihr Herz hinein spielen konnte. Wir verbrachten gemeinsam die Nacht bis in die Morgenstunden und zum ersten Zug brachte ich sie auf den Bahnhof. Schon am Nachmittag trafen wir uns wieder und machten einen wunderschönen Spaziergang an den Entenweiher. Von diesem Moment an waren wir ein Paar. Dass wir es heute nach 62 Jahren noch sind, ist das Verdienst meiner starken Magdalena, die auch in schwierigen Zeiten immer an uns glaubte.

Nun sind wir ein altes Ehepaar, unsere Kinder sind erwachsen und selbst glücklich verheiratet. Bald feiern wir die diamantene Hochzeit sofern uns die Gesundheit nicht im Stich lässt. Noch mehr Lebensqualität wäre "kitschig". Wir wünschten, allen Menschen würde es so gut gehen wie uns.
Madeleine und Hansruedi
Kommentar schreiben